ArtikelDeutsche Artikel

Vom neuen Theresianischen Führungsmodell

Abstract: Erfolgreiche Führung basiert auf verschiedenen miteinander verbundenen Ebenen. Zunächst ist eine Definition von Führung notwendig. Diese Definition wird anhand einer einfachen Darstellung geleistet. Das Problem, welches Führung auslöst liefert weitere Anhaltspunkte auf dem Weg zu erfolgreicher Führung. Schließlich geht es um den Entscheidungsprozess, welcher erfolgreiche Führung ermöglicht. Das Theresianische Führungsmodell vereint diese drei Ebenen miteinander. Dabei wird herausgearbeitet wie Kunst und Wissenschaft einander ergänzen und erfolgreiche Führung fördern können.

Problemdarstellung: Welche Rolle spielen Kunst, in Form einer gestaltenden Kreativität, und Wissenschaft, als evidenzbasierte Herangehensweise, zur Problemlösung in Fragen der Führung?

Bottom-line-up-front: Führung ist kein konstanter Zustand, sondern ein Prozess, der ständig neu zu beurteilen und stets neu anzupassen ist. Auf der Suche nach der Kunst des Führens wird man bei verschiedenen großen Denkern fündig. Aus den Schriften von Clausewitz und Machiavelli geht zum Beispiel hervor, dass sie Führung in seiner höchsten Ausprägung über den Bereich der Wissenschaft hinaus in den Bereich der Kunst einordnen. Im Militär ist daher die Frage von großem Interesse, wie die Kompetenzentwicklung von Führungskräften in den Bereichen Wissenschaft und Kunst diskutiert werden und inwiefern sich eine Balance zwischen diesen beiden Sphären auf ergänzende Überlegungen auswirkt.

Was nun?: Führungsmodelle bilden in der Ausbildung von Führungskräften das Fundament, durch welches potenzielle Führungskräfte erfolgreiche Führung erlernen. Dabei dienen diese Modelle der Orientierung und vermitteln eine Denkschule, durch die Lösungen von Problemen strukturiert und nachvollziehbar erarbeitet werden können. Es stehen nicht nur die potentiellen Führungskräfte im Fokus, sondern alle, die während ihrer beruflichen Tätigkeit Entscheidungen zu treffen haben. An der Theresianischen Militärakademie werden die zukünftigen militärischen Führungskräfte nach dieser Denkschule ausgebildet.

Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern

Source: commons.wikimedia.org

Vom Wesen einer erfolgreichen (militärischen) Führungskraft

Führung ist, dialektisch betrachtet, die Synthese aus Wissenschaft einerseits und Kunst andererseits. Beides wirkt ineinander und wird in diesem Zusammenwirken im Folgenden näher untersucht. Ziel ist hier nicht eine Lösung zu präsentieren, sondern den Geist zu weiteren Überlegungen anzuregen. Die Förderung der Reflektionsfähigkeit sowie die Argumentationsfähigkeit sollen hier gesteigert werden. Dabei ist eine durchaus kritische Würdigung angestrebt.

Das Theresianische Führungsmodell basiert auf dem Kompetenzmodell nach Pichlkastner.[1] In diesem Modell arbeitete er drei Schlüsselkompetenzen heraus. Diese sind: physische Leistungsfähigkeit, mentale Stärke sowie interkulturelle Kompetenz. Das Handeln militärischer Führungskräfte basiert grundsätzlich auf diesen Kompetenzen. Aufbauend auf dem Kompetenzmodell nach Pichlkastner wurde ein Führungsmodell entwickelt, welches diese Kompetenzen in erfolgreiche Führung transferieren soll. Das Theresianische Führungsmodell stellt dabei den Nukleus von Führung dar und ist damit zum einen universell und zum anderen intersubjektiv nachvollziehbar. Im Fokus dieses Modells steht die Verantwortung der einzelnen Führungskraft.

Das Theresianische Führungsmodell stellt dabei den Nukleus von Führung dar und ist damit zum einen universell und zum anderen intersubjektiv nachvollziehbar.

„Alles Denken ist ja Kunst. Wo der Logiker den Strich zieht, wo die Vordersätze aufhören, die ein Resultat der Erkenntnis sind, wo das Urteil anfängt, da fängt die Kunst an.“[2] Bezogen auf das Theresianische Führungsmodell, sind Verstand und Vernunft der Sphäre der Wissenschaft zuzurechnen. Eine wissenschaftlich akademische Ausbildung/Bildung ist für Führungskräfte somit Vorbedingung für eine Urteilsbildung, für das Treffen einer Entscheidung beziehungsweise eines Entschlusses.[3] Wie die Fakten und deren Bewertung schließlich in einen erfolgversprechenden Entschluss gefasst werden und dieser zur Umsetzung gelangt, ist dann Kunst, die Kunst des Führens.[4]

Die Welt präsentiert sich zunehmend unbeständig, unsicher, komplex und mehrdeutig.[5] Haben diese Faktoren nun eine „neue“ Auswirkung auf Führung oder hat sich nur das bestehende Bezugssystem einer lokalen beziehungsweise regionalen Perspektive durch eine globale Sichtweise erweitert? Letztlich sind Probleme, die ein Führungshandeln auslösen, immer schon durch diese Faktoren gekennzeichnet. Allerdings hat sich der mögliche Konfliktraum zunehmend entgrenzt.[6]

Das Modell, welches hier dargestellt wird, ist genau diese Verbindung von Wissenschaft und Kunst. Eine Visualisierung des Modells ist in einem Gemälde von der Schlacht bei Aspern zu finden. Dieses Bild zeigt die Elemente des Theresianischen Führungsmodells in einer künstlerischen Interpretation in sehr plastischer Form. Dabei wird auch klar, dass das „neue“ Theresianische Führungsmodell nicht so neu ist, wie die Bezeichnung vermuten lässt.

Erzherzog Karl bei Aspern

Das Titelbild zeigt Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern in der Mitte seines Stabes bei der Führungstätigkeit. Erzherzog Karl ist einer der drei großen militärischen Denker im deutschsprachigen Raum am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Neben Clausewitz und Jomini gilt er als der Mitbegründer der Militärwissenschaft in Europa. Die Phrase „Armis et Litteris“, geprägt durch Erzherzog Karl, ist zum Ausdruck der Verbindung von Militär und Wissenschaft beziehungsweise von der Notwendigkeit einer militärischen und akademischen Führungsausbildung geworden.[7] Dieser Spruch ist noch heute über dem Eingang in das Innere der Burg zu Wiener Neustadt – der Theresianischen Militärakademie – zu lesen.

„Armis et Litteris“ ist zum Ausdruck der Verbindung von Militär und Wissenschaft beziehungsweise von der Notwendigkeit einer militärischen und akademischen Führungsausbildung geworden.

Die Führung, in Person des Erzherzogs und seines Stabes, ist trotz der chaotischen Szenerie weiterhin aufrecht und organisiert am Werk. Trotz verwundeter und toter Soldaten führen sie weiter. Das Problemhafte an der Situation bleibt jedoch klar erkennbar, bestimmt durch Kraft, Zeit und Raum. Das Problem ist der Kampf der beiden Streitkräfte an diesem Tag im Mai des Jahres 1809, in der Nähe der Ortschaft Aspern bei Wien, welches Erzherzog Karl mit seinen Offizieren zu lösen versucht.

Führung ist als Ergebnis einer Idee vom Gefecht über die Entwicklung eines Planes bis zur konkreten Umsetzung in der Darstellung fassbar. Diese konkrete Umsetzung der Führung zeigt sich einerseits in der Versorgung der Verwundeten und andererseits auch an dem im Hintergrund weitertobenden Gefecht. Der Prozess, der zur Entscheidung führt, ist zwar bildlich nicht sichtbar, aber aus der Darstellung durchaus ableitbar. Erzherzog Karl erfasst die Situation, bewertet sie und trifft mittels seiner Urteilskraft eine Entscheidung. Diese wird durch seine richtungsweisende Armhaltung an den Stab kommuniziert. Alle Ebenen des Theresianischen Führungsmodells – die Problem-, die Führungs- und die Entscheidungsebene – finden sich in diesem Schlachtengemälde.

Was macht dieses Führungsmodell nun aus? Zum einen werden diese offensichtlichen Elemente eines Führungsmodells erstmals zueinander in Verbindung gesetzt und bildlich dargestellt. Zum anderen wird auf dem Theresianischen Kompetenzmodell nach Pichlkastner aufgesetzt.[8] Dieses beschreibt ein Kompetenz- beziehungsweise Tugendmodell für militärische Führungskräfte. Theresianisch ist das im Gemälde visualisierte Führungsmodell einerseitsdeshalb, weil vermutlich ein Großteil der in der Schlacht bei Aspern tätigen Offiziere an der 1751 gegründeten Theresianischen Militärakademie ausgebildet wurden. Andererseits wird an dieser Einrichtung – der Alma Mater Theresiana – nach diesem noch heute nach diesem Modell ausgebildet.

Ziel der Auseinandersetzung mit erfolgreicher Führung

Erfolgreich zu führen bedeutet Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. Was kennzeichnet allerdings erfolgreiche Führungskräfte und welche Faktoren sind entscheidend, um erfolgreiche Führung überhaupt erst zu ermöglichen? Dieser Frage haben sich in der Vergangenheit verschiedene militärische Denker immer wieder gewidmet. In diesem Zusammenhang ist auch das Verhältnis zwischen erfolgreicher und kunstvoller Führung näher zu betrachten.

Clausewitz spricht in seinem Werk „Vom Kriege“ in erster Linie von der Kriegskunst. „Die Kriegskunst im eigentlichen Sinn wird also die Kunst sein, sich der gegebenen Mittel im Kampf zu bedienen, und wir können sie nicht besser als mit dem Namen Kriegführung bezeichnen.“[9] Abgeleitet aus diesem Zitat ist Krieg die extremste Form einer Problemstellung und da sich Führung mit der Lösung von Problemen auseinandersetzt, ist die Kriegskunst in diesem Zusammenhang die extremste Ausprägung der Kunst des Führens. Die gegebenen Mittel sind jene Ressourcen, die es zur Erreichung des Erfolges braucht, bezogen auf die Führung sind dies der Mensch – als Führungskraft und Geführter – sowie die richtigen Führungswerkzeuge, wie zum Beispiel ein passendes Führungsmodell.

Krieg die extremste Form einer Problemstellung und da sich Führung mit der Lösung von Problemen auseinandersetzt, ist die Kriegskunst in diesem Zusammenhang die extremste Ausprägung der Kunst des Führens.

Von der Rollenvielfalt einer Führungskraft

Einerseits hat eine Führungskraft umfassend zu denken und sich für komplexe Zusammenhänge zu interessieren. Diese generalistische Fähigkeit ist essenziell, um sich für relevante Einflüsse auf Entscheidungen offen zu halten. Die Fähigkeit, oft nicht für die Sache augenscheinlich nützliche Informationen zu erfassen und sie mit bereits vorhandenen Informationen in Beziehung zu setzen, ist äußerst wichtig um verantwortungsvoll Entscheidungen zu treffen. So ist zum Beispiel für Entscheidungen auf der taktischen oder gar gefechtstechnischen Ebene der Gesamtzusammenhang auf den übergeordneten Ebenen von großer Wichtigkeit. Denken wir an den „Strategic Corporal“, so sind nicht nur Handlungen, sondern auch die vorausgehenden Entscheidungen auf den unteren Führungsebenen von Bedeutung für das Gesamtgefüge der Handlungen auf den höchsten Entscheidungs- beziehungsweise Handlungsebenen. Führungskräfte haben somit übergreifend über mehrere Ebenen zu denken und zu handeln. Das Verstehen und Begreifen der Makroebene ist für Führungskräfte unabdingbar um erfolgreich führen zu können.

Rollenvielfalt einer Führungskraft

Rollenvielfalt einer Führungskraft; Source: Verfasser

Der Generalist ist somit die Basis dafür, Entscheidungen und das daraus resultierende Führungshandeln in einen Gesamtzusammenhang einbetten zu können. Auf das Militär bezogen beschäftigt sich der Generalist, im Gegensatz zum Spezialisten, mit den Militärwissenschaften in ihrer Gesamtheit, ohne sich aber in der einen oder anderen Wissenschaftsdisziplin zu vertiefen.[10]

Die Führungskraft ist aber nicht nur Generalist, sondern auch Experte im Fachbereich. Für die militärische Führungskraft ist dies der Bereich der Militärwissenschaft. Diese umfasst unter anderem die Kerndisziplinen der Operation, der Taktik und vor allem der Logistik.[11] Die ausgeprägte Fach- und Methodenkompetenz in der Militärwissenschaft ist damit Voraussetzung, um während des Einsatzes von militärischen Kräften fundierte Entscheidungen zu treffen. Das Wissen über Aufgaben, die Charakteristika und Besonderheiten des Militärs und der Streitkräfte ist für eine erfolgreiche Truppenführung von großer Wichtigkeit. Experten der Militärwissenschaft haben zudem noch eine weitere wichtige Aufgabe im Gesamtsystem des Militärs. Sie sind das „Scharnier“ zwischen der Makro- und der Mikroebene im Militär. Als Dolmetscher zwischen dem Generalisten und dem Spezialisten leisten sie einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren des Systems.

Auf der Mikroebene finden wir eine weitere wichtige Rolle der militärischen Führungskraft. Spezialisten verfügen über eine vertiefte Kenntnis in einer der Teildisziplinen der Militärwissenschaft. Neben der Rolle als Generalisten und Experten[12] verfügen die militärischen Führungskräfte in der Regel über eine spezielle Fach- und Methodenkompetenz in einem Gebiet der Militärwissenschaft. Es kann sich hierbei um das spezialisierte Wissen in einer Waffengattung, einem Teilbereich einer Waffengattung oder aber um spezialisierte Fach- und Methodenkompetenz in der Taktik, Logistik oder Operation handeln. Je nach Führungssituation ist die Einnahme einer dieser Rollen erforderlich. Natürlich kommt es dabei auch zu Überschneidungen der verschiedenen Rollen.

Vom Führungserfolg als Ergebnis von Führungskompetenz

Erfolg als „positives Ergebnis einer Bemühung“[13] fußt auf drei wesentlichen Faktoren: dem Führungsmoment als Auslöser der Führungshandlung, der Entscheidungsdistanz als Vorbedingung für eine entsprechende Führungshandlung auf der jeweiligen Ebene und der daraus resultierenden Führungsruhe, welche es ermöglicht, Entscheidungen ohne gravierende zusätzliche Einflüsse von außen zu treffen.[14] Um einen Führungserfolg zu erzielen sind diese drei Faktoren in ausreichender Balance zu halten.

Erfolg fußt auf drei wesentlichen Faktoren: dem Führungsmoment als Auslöser der Führungshandlung, der Entscheidungsdistanz und der daraus resultierenden Führungsruhe.

Faktoren des Führungserfolges

Faktoren des Führungserfolges; Source: Verfasser

Das Erkennen des Momentes, der die Führungshandlung auslöst, ist dabei nicht immer so offensichtlich. Die Führungskraft muss dabei über eine entsprechende Sensorik verfügen, die es ihr erlaubt diesen Führungsmoment auch wahrzunehmen. Das gelingt nur dann, wenn sich die Führungskraft nicht zu sehr im Detail verliert, also ihre Entscheidungsdistanz und damit auch die entsprechende Führungsruhe aufrechterhält.[15] Der Führungserfolg ist aber nicht nur von den drei genannten Faktoren abhängig, sondern im Besonderen von der Führungskompetenz, welche selbst wiederum durch drei weitere Faktoren bestimmt wird.

Faktoren der Führungskompetenz

Faktoren der Führungskompetenz; Source: Verfasser

Zunächst wenden wir uns der Adaptionsfähigkeit zu. Diese steht für die situationsangepasste Wahl der richtigen Werkzeuge zur Lösung einer Problemstellung.[16] Diese Anpassung der Führung an die jeweilige Situation und Ebene des Handelns ist für erfolgreiche Führung eine Grundvoraussetzung. Neben dieser Anpassungsfähigkeit ist die Initiative zur Entscheidungsfindung beziehungsweise die Entscheidungsfreude ein weiterer Baustein zur erfolgreichen Führungstätigkeit. Diese Freude am Entscheiden sollte der Angst vor Entscheidungen entgegenwirken. Diese Angst ist oft allgegenwärtig, da mit jeder Entscheidung die Alternativen verloren gehen; man muss sich von den weiteren Optionen scheiden.[17] Dieser hemmenden Wirkung der Angst muss mit Entscheidungsfreude entgegengesetzt werden.

Der dritte Faktor ist die Orientierung am Menschen, denn Führung basiert auf dem dialektischen Verhältnis von Führungskraft und Geführten.[18] Führung ist damit immer für, mit oder gegen Menschen gerichtet. Diese Orientierung an den Menschen bedeutet jedoch auch, die Menschen mit den entsprechenden Kompetenzen zu beauftragen. Daher wird zudem, wie in der Kategorisierung der Offiziere nach Hammerstein-Equord, eine gewisse Menschenkenntnis vorausgesetzt.[19]

Einteilung militärischer Führungskräfte nach Kurt von Hammerstein-Equord

Source: H. M. Enzensberger, “Hammerstein oder Der Eigensinn,” (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019), 77-78.

Kurt von Hammerstein pflegte seine Offiziere nach der obigen Darstellung einzuteilen. Er ging davon aus, dass Offiziere, welche über eine ausgeprägte Führungsruhe und eine gute Bildung verfügten, idealerweise für Führungsaufgaben heranzuziehen wären. Offiziere, welche nicht nur gebildet, sondern auch mit einem starken Umsetzungsdrang ausgestattet sind, wären die idealen Stabsoffiziere. Jene militärischen Führungskräfte, welche weder über einen ausgeprägten Intellekt noch über einen entsprechenden Tatendrang verfügen, sollten nur für Routineaufgaben herangezogen werden. Zu entlassen wären jene Offiziere, welche ungebildet und fleißig sind. Diese sind nach Hammerstein für das System besonders gefährlich, da sie unreflektiert Maßnahmen umsetzen ohne deren Folgen abschätzen zu können. Das bedeutet letztlich, dass erfolgreiche Führung nicht nur von guten Entscheidungen abhängt, sondern in sehr bedeutendem Umfang von einer adäquaten Umsetzung der Entscheidung selbst.[20]

Zu entlassen wären jene Offiziere, welche ungebildet und fleißig sind. Diese sind nach Hammerstein für das System besonders gefährlich, da sie unreflektiert Maßnahmen umsetzen ohne deren Folgen abschätzen zu können.

Vom Problem als Auslöser des Führungshandelns

Der Auslöser einer Führungshandlung ist ein Führungsmoment. Dieser Moment wirft in den meisten Fällen ein Problem auf, welches den planmäßigen Ablauf einer Handlung beeinflusst.[21] Es kann nun sein, dass die Erreichung des geplanten Ziels durch dieses Problem erschwert, behindert beziehungsweise sogar verhindert wird. Hier setzt die Führungshandlung an. Das Problem ist stets durch Kraft, Raum und Zeit definiert. Bestimmte Einflüsse, respektive Kräfte, werden zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Raum auf ein planvolles Vorgehen wirksam.

Im militärischen Kontext basiert auch die Entwicklung eines Planes immer auf einer Aufgabe oder Problemstellung. Während dem Anstreben zum Ziel summieren sich weitere Probleme zum ursprünglichen Problem hinzu. Die Ausprägung der drei Faktoren charakterisiert dabei die Problemstellung, sowohl bei der Erstplanung wie auch bei der Folgebeurteilung. Die Position des Problems zwischen den Faktoren bestimmt also dessen Charakter, wobei alle drei Faktoren, allerdings in unterschiedlicher Gewichtung, zum Problem beitragen. Das Problem ist dabei aus militärischer Sicht so umfassend, dass es nur durch das Zusammenwirken aller Elemente gelöst werden kann.[22] Dieser Zusammenhang zwischen Kraft, Zeit und Raum stellt die erste Ebene des Theresianischen Führungsmodells dar.

Die Problem-Ebene

Die Problem-Ebene; Source: Verfasser

Sucht man nun nach der Lösung für das Problem, bedient man sich also der Führung als deren zentralen Faktor, um die Problemlösung zu ermöglichen, so muss diese (die Führung) das Problem adressieren. Die Führung oder besser gesagt die Führungshandlung muss problemadäquat sein. Letztlich hängt es von der Art des Problems ab, welche Ausprägung von Führung notwendig ist um erfolgreich zu sein. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der primäre Adressat von erfolgreicher Führung immer die Gruppe der davon betroffenen Menschen ist. Damit liegt nahe, dass der vorrangige Faktor, welcher ein Problem charakterisiert, die Kraft darstellt. Diese ist in erster Linie die dynamischste der drei Komponenten, sie bewegt sich in Raum und Zeit. Hier wird auch die Argumentation von Clausewitz nachvollziehbar, wenn er davon spricht, dass Krieg weder Handwerk noch Kunst ist.[23] Beides setzt nicht den Menschen in den Mittelpunkt, sondern ein beliebiges Objekt, ein Ding. Für Clausewitz handelt es sich beim Krieg um ein soziales Phänomen, der Mensch als die Kraft tritt hier für ihn in den Fokus.

Probleme stellen in dieser Kraft-Raum-Zeit-Beziehung immer einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang dar, der je nach Typologie des Problems unterschiedlich gestaltet ist. Welcher Typ von Problem vorliegt ist abhängig von der Art des Ursache-Wirkung-Zusammenhangs. Dies ist vor allem für die Anwendung der Entscheidungs-Ebene von Bedeutung. Die Charakterisierung der Probleme erfolgt mittels des Cynefin-Modells.[24]

Das Cynefin-Modell

Das Cynefin-Modell; Source: Gregor Heise, “Komplexität meistern mit dem Cynefin-Framework,” last accessed December 21, 2017, https://www.heisetraining.at/komplexitaet-meistern-mit-cynefin-framework/.

Hier wird zwischen vier Ausprägungen von Problemen unterschieden. Die unterschiedlichen Ausprägungen bedürfen vor allem auf der Entscheidungsebene einer unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung. Damit sind, in Abhängigkeit vom Charakter des Problems, die Faktoren der dritten Ebene – der Entscheidungsebene – des Theresianischen Führungsmodells in Anlehnung an das Cynefin-Framework inhaltlich zu adaptieren.

Von den Formen der Führung

Bei der Beschäftigung mit dem Führungsbegriff hilft die Analogie zum Kriegsbegriff von Clausewitz. Das Chamäleon Krieg bewegt sich zwischen drei Eckpunkten: dem bloßen Verstand (der Regierung), der freien Seelentätigkeit (dem Feldherrn) und dem blinden Naturtrieb (dem Volk).[25] Die Ausprägungen der Führung können in gleicher Weise zwischen den drei Eckpunkten verortet werden. Führung bewegt sich zwischen den drei extremen Ausprägungen: dem Führungsdenken (dem Ziel/Problem-Denken, dem bloßen Verstand), dem Planen und Führen (dem Führen an und für sich, der freien Seelentätigkeit) und dem Tun (Durch- oder Ausführen, dem blinden Naturtrieb).

Die Führungs-Ebene

Die Führungs-Ebene; Source: Verfasser

Führung als richtungsweisendes steuerndes Einwirken zur Erreichung einer Zielvorstellung ist nicht nur durch diese drei extremen Ausprägungen gekennzeichnet, sondern auch von der Ebene, auf der sie erfolgt, mitbestimmt. Im militärischen Kontext wird Führung auf der militärstrategischen, der operativen, der taktischen und der gefechtstechnischen Ebene geleistet. Je nach Ausprägung nähert man sich einer der drei Extremformen der Führung. Das Zieldenken ist dabei eher der strategischen und operativen Ebene, im Sinne von strategischen beziehungsweise operativen Zielvorgaben/Problemstellungen, zuzuordnen. Das Planen und Führen, als Ausrichtung am Ziel/Problem und die konkrete Zielerreichungsmaßnahme/Problemlösung, ist dem Bereich von der operativen zur taktischen Führungsebene zuzuschreiben. Das Tun beziehungsweise Ausführen, als Umsetzung der Maßnahmen, findet von der taktischen zur gefechtstechnischen Ebene statt.

Führung ist auch von der Ebene, auf der sie erfolgt, mitbestimmt.

Führung beinhaltet immer alle drei Faktoren, aber je nach Ebene und Problemstellung in unterschiedlicher Gewichtung. Wenn man die bisher beschriebenen Ebenen übereinanderlegt, sollte die Führung sich mit dem Problem in Deckung bringen lassen. Selbiges gilt auch für die jeweils anderen Faktoren der jeweiligen Ebene des Führungsmodells. Das Denken ist maßgeblich durch den Faktor Raum beeinflusst, das Tun, die konkrete Handlung vom Faktor Zeit und die Durchführungsplanung, das Führen an und für sich, ist stark abhängig vom Faktor Kraft, also den Akteuren der konkreten Problemsituation.

Von der Entscheidung als Problemlösung

In der dritten Ebene des Theresianischen Führungsmodells geht es um die Entscheidung als Ergebnis der Führungshandlung. Diese Entscheidung fußt auf einer wissenschaftlichen Methode, welche in einem dialektischen Vorgehen zu einer Problemlösung beiträgt. Hier treffen Empirie und Rationalität als Gegensätze aufeinander, um sich mittels der Urteilskraft zu einer Entscheidung zu synthetisieren.[26] Dieses Prinzip des Ansprechens, Bewertens und Folgerns ist wesentlich, um gut begründet und vor allem nachvollziehbar zu einer Entscheidung zu gelangen. Hier lassen sich schon wesentliche Kriterien der Wissenschaftlichkeit erkennen. Hinzu tritt noch die Verantwortung für die Entscheidung, also Auskunft darüber geben zu können, warum man die Entscheidung so getroffen hat wie sie getroffen wurde.

Betrachtet man die inhaltliche Ausgestaltung der Schritte dieses Verfahrens, so muss hier nochmals auf die Einteilung der Typen von Problemen nach dem Cynefin-Framework eingegangen werden. Bei einem offensichtlichen Problem ist das klassische Ansprechen-Bewerten-Folgern mit dem darauf aufbauenden Entschluss anzuwenden. Hier ist das Bewerten als Kategorisierung des Problems zu verstehen, auf deren Basis dann mittels der Urteilskraft eine Entscheidung zu fällen ist. Ist die Problemstellung von komplizierter Art, so ist im Rahmen der Rationalität eine Analyse hinsichtlich der Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge anzustellen und darauf aufbauend die Entschlussfassung durchzuführen. Bei einem komplexen Problem ist im Rahmen der Empirie mittels Experiments festzustellen, wie sich die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung darstellen, um nach Mustern zu suchen, welche die Grundlage für eine Bewertung und die anschließende Entscheidung sind. In chaotischen Problemlagen sind Entscheidungen ohne ausreichende Informationen, also heuristisch, zu treffen. Durch mehrmaliges Durchlaufen des Prozesses kann dann im Zuge einer stetigen Annäherung ein Zustand der Normalisierung erreicht werden.[27] Die Offenheit der Entscheidungs-Ebene lässt also eine Anwendung auf die unterschiedlichen Problemlagen zu.

In chaotischen Problemlagen sind Entscheidungen ohne ausreichende Informationen zu treffen. Durch mehrmaliges Durchlaufen des Prozesses kann dann im Zuge einer stetigen Annäherung ein Zustand der Normalisierung erreicht werden.

Die Entscheidungs-Ebene

Die Entscheidungs-Ebene; Source: Verfasser

Legt man nun diese Ebene über die beiden anderen, so sollte die Entscheidung mit der Führung und dem Problem in Deckung sein. Auch der Bezug der drei Faktoren zu den drei Faktoren der jeweiligen anderen Ebenen ist hier einfach zu erkennen.

Vom Zusammenwirken der Bausteine des Theresianischen Führungsmodells

Verstand, Denken und Raum bilden eine Achse, in der es um die Analyse der vorliegenden Problemstellung geht. Dieser Teil ist wesentlich, um feststellen zu können worum es sich den bei dem Problem überhaupt handelt. Die Achse Vernunft, Führen und Kraft ist für die Bewertung der vorliegenden Situation und die Aufbereitung einer Entscheidung essenziell. Mit ihr startet die Synthese zur Problemlösung. Schließlich vervollständigt die dritte Achse Urteilskraft, konkretes Tun und Zeit das Modell. Diese führt das Problem einer Lösung zu und schließt damit die Synthese ab. Einem Molekül gleich liegen nun alle drei Ebenen übereinander und beeinflussen einander auf unterschiedlichen Wegen gegenseitig.

Das Theresianische Führungsmodell (Problem-Layering)

Das Theresianische Führungsmodell (Problem-Layering); Source: Verfasser

Dieses Modell ist auf alle Problemlagen anwendbar und wird durch die spezifische Ausgestaltung der einzelnen Faktoren an die jeweilige Situation angepasst.

Von der Führung als Kunst und Wissenschaft

„Wir sagen also, der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens.“[28] Ersetzen wir den Begriff des Krieges durch den Führungsbegriff, so kann man hier in Analogie zum Krieg die Führung als soziale Interaktion verstehen. Führung und damit die verschiedenen Führungsmodelle, wie so auch das Theresianische Führungsmodell, unterliegen als soziale Interaktion zwischen Menschen und Gruppen von Menschen einer hohen Komplexität. Führung ist hinsichtlich der ihr zu Grunde liegenden Zusammenhänge unklar und immer von äußeren, nicht immer bekannten, Einflüssen abhängig. Eine erfolgreiche militärische Führungskraft benötigt einerseits ausgeprägte wissenschaftlich gebildete Fähigkeiten und Kompetenzen, andererseits braucht ein Offizier Kreativität, um auch unter widrigsten Bedingungen noch führen zu können.

Wir sagen also, der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens.

In einer zunehmend komplexer werdenden Welt müssen militärische Führungskräfte (das gilt in übertragenem Sinn auch für zivile Führungskräfte) Probleme rechtzeitig erkennen können.[29] Das ist umso schwieriger, weil die zu lösenden Probleme in den Konfliktszenarien zusehends weniger offensichtlich sind. Konflikte in denen das Militär nicht mehr die Hauptrolle spielt nehmen in der jüngsten Vergangenheit stetig zu. Wenn das Militär dann in solchen Konflikten zum Einsatz gelangt, muss die militärische Führungskraft in der Lage sein die Hintergründe zu verstehen. Die Analyse und Bewertung der Situation sind dabei genauso wichtig, wie die Entscheidung zur Problemlösung und deren Umsetzung.

Auch Hybridität ist damit ein Faktor, den es seit langer Zeit im Zuge von Konflikten zu beobachten gilt. Wenn man das Wesen der Hybridität als die „Verschleierung der Wirklichkeit zur Wehrlosmachung des gegnerischen Willens“[30] versteht, so ist diese Erscheinungsform des Konfliktes stets Begleiter des Menschen gewesen und wird es in Zukunft auch noch sein.

Führung, speziell im Konflikt, als ultimatives Problem, hat sich mit diesem Phänomen also auch schon in der Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Komplexität als Faktor, welcher vor allem auf der potentiellen globalen Ausdehnung des Konfliktes beziehungsweise der Problemzonen beruht, wird zudem noch von einer Informationsflut begleitet, welche auf den ersten Blick dazu verleitet, diese mit ebenso komplexen Lösungen zu beantworten.[31] Neben dem kunstvollen Urteil ist hier jedoch eine akademische Bildung der Führungskräfte deshalb notwendig, um für komplexe Probleme „einfach“ Lösungen zu finden. Sich nicht in der Komplexität zu verlieren, um rechtzeitig Entscheidungen treffen zu können, ist eine wesentliche Kompetenz von modernen Führungskräften. Dies ist angesichts technologischer Entwicklungen von enormer Bedeutung. Dabei ist nicht die Komplexität des Problems zu reduzieren, dies kann zu unbrauchbaren beziehungsweise falschen Lösungen führen, sondern die Lösungen sind so „einfach“ zu gestalten, dass sie in erster Linie das Problem adressieren und rechtzeitig zur Umsetzung gelangen.[32]

Informationsüberlegenheit, im Sinne eines zielgerichteten Umgangs mit Informationen, führt zur Führungsüberlegenheit und daraus resultierenden Entscheidungsüberlegenheit.

Die Fähigkeit mit Hilfe der Heuristik rechtzeitig brauchbare Entscheidungen in Handlungen umzusetzen kann dazu führen Probleme erfolgreich zu lösen (oder aber in einem Konflikt den Gegner hinsichtlich seiner Entscheidungen zu unterlaufen und schließlich zu besiegen). Entscheidend bleibt hier das System von Führungskraft und Geführten, welches sich über die verschiedenen Führungsebenen fortsetzt. Dieses Verhältnis setzt auch eine entsprechende Durchsetzungsmacht voraus. Diese soll im Sinne einer „Potentia“ die Handlungen und natürlich auch die Führung kanalisieren.[33]

Gestaltungs- versus Verhinderungsmacht[34]

Gestaltungs- versus Verhinderungsmacht[34]; Source: Verfasser

Um erfolgreiche Führung zu erreichen sind beide Bereiche, die Wissenschaft, als Basis einer Entscheidung und die Kunst, als die kreative – im Sinne einer erschaffenden Kreativität – Urteilskraft, zur Entscheidungsfindung und Umsetzung in eine konkrete Handlung, notwendig.[35] Das Militär hat im Zusammenhang mit nichtlinearen Denkansätzen, dem Umgang mit der Heuristik und dem Denken jenseits von Normen grundsätzlich eine Herausforderung zu bestehen. Die Sozialisation militärischer Führungskräfte folgt nach wie vor tradierten Wertemodellen, welche allerdings nicht auf alle Probleme anwendbar sind. Speziell bei komplexen Herausforderungen sind aber genau solche Denkmodelle für die Entscheidungsfindung notwendig. Die Implementierung des kritischen Geistes im machiavellistischen Sinn ist hier notwendig. Diese Andersartigkeit, die durchaus als unbequem empfunden werden kann, zuzulassen ist für die Entwicklung von Entscheidungskompetenz essenziell. „Ein Offizier, der voll von guten Ideen ist, aber keine Gelegenheit hat, Initiative zu beweisen, verbraucht allmählich seinen Energievorrat, wird apathisch und beginnt oberflächlich zu arbeiten.“[36] Hier setzt die akademische Bildung des Offiziers an, denn: „Zu dieser Initiative und Selbstständigkeit sind nur gebildete, entschlossene und willensstarke Offiziere fähig.“[37] Wissenschaft und Kunst bedingen einander in einem dialektischen Zusammenhang, eine Entscheidung basiert stets auf beidem.

Die Sozialisation militärischer Führungskräfte folgt nach wie vor tradierten Wertemodellen, welche allerdings nicht auf alle Probleme anwendbar sind.

Von der Führung zwischen Komplexität und Reduktion

Der Ansatz, welcher beim Umgang mit komplexen Problemen angewandt werden kann, liegt nicht in der Reduktion der Komplexität des Problems, sondern in der Reduktion des, der Problemlösung zu Grunde liegenden, Prozesses. Diese Prozessreduktion kann in Verbindung mit der Berücksichtigung der komplexen Problemfaktoren zu brauchbaren Ergebnissen in ansprechender Zeit führen. Dies ist durch die Anwendung des Theresianischen Führungsmodells auch in nichtlinearen und komplexen Problemlagen möglich. Eben auf Grund seines reduzierten, aber offenen und andere Faktoren berücksichtigenden Charakters ist dieses Modell auch in modernen, komplexen Situationen anwendbar. Von komplexen Problemen spricht man dann: „Wenn die Zusammenhänge zwischen Ereignissen nicht klar sind, handelt es sich um komplexe Situationen oder vertrackte Probleme. Allen Analysen zum Trotz sind diese Probleme äußeren Einflüssen unterworfen, von denen nicht alle bekannt sind.“[38]

Die Disziplin der Heuristik hilft hier den Prozess zu optimieren, also den Denkansatz, mit dem eine Lösung erarbeitet werden kann, ohne alle Faktoren bis ins Detail zu kennen. Vor allem in Hinblick auf die Hybridität, deren Zweck die Verschleierung der Wirklichkeit ist, stellt hier besondere Herausforderungen an eine entsprechende heuristische Vorgehensweise. Diese Denk- beziehungsweise Problemlösungsmethode muss geübt werden, um sie erfolgreich anwenden zu können. Die klassische militärische Führungskräfteausbildung verfolgt einen reduktionistischen Ansatz zur Lösung von komplizierten Problemen.[39] Diese kognitive Prägung wird dann oftmals auch im Rahmen der Lösung von komplexen Problemen angewandt. Die potenziellen militärischen Führungskräfte sind daher schon in ihrer Grundausbildung mit alternativen (heuristischen) Lösungsmethoden zu konfrontieren und in deren Anwendung stets weiterzuentwickeln. Das Denken abseits von Checklisten und Schemata basierend auf einem einfachen Modell, welches situationsbedingt adaptiert werden kann, ist hier der zu verfolgende Ansatz.[40] Dies bedingt auch eine akademische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Denk- und Lösungsansätzen. Je mehr adaptiv einzusetzende Führungswerkzeuge zur Verfügung stehen, umso größer wird der adaptive Werkzeugkasten der Führungskraft.[41] Mit einem kreativen Einsatz dieser Werkzeuge, im Sinne ihrer Anwendung abseits des normativen konformen Gebrauchs, werden Führungsentscheidungen zu erfolgreichen Problemlösungen führen, auch für komplexe Herausforderungen.

Die potenziellen militärischen Führungskräfte sind schon in ihrer Grundausbildung mit alternativen Lösungsmethoden zu konfrontieren und in deren Anwendung stets weiterzuentwickeln.

Von der Führung als Synthese von Empirie und Rationalität

Der Denkprozess einer Führungskraft setzt sich aus der sinnlichen Erkenntnis (der sinnlichen Erfahrung) und der rationalen Erkenntnis (dem abstrakten Denken) zusammen.[42] Ähnlich wie die Theorie die Praxis braucht, um das Denken in konkrete Handlungen zu transferieren, braucht die Empirie die Rationalität, um zu Problemlösungen zu gelangen. Die Versuchung der Empirie eine überzeichnende Rolle zuzugestehen ist groß.[43] Dinge quantifizierbar zu machen übt einen großen Reiz auf Führungskräfte aus. Führung an Ergebnissen festzumachen und diese auch noch messen zu können, ist dem Menschen eine starke Verlockung.[44]

Um mittels der Urteilskraft eine Entscheidung zu treffen, braucht es mehr als nur den messbaren Teil einer Problemstellung. Die Beurteilung, das Bewerten der empirisch erhobenen Daten, die Bedeutungssetzung der Fakten, ist der wesentliche Teil, um Entscheidungen treffen zu können. Denn es muss stets bewusst bleiben: „Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt, sondern nur die messbare Seite der Welt.“[45] Um das Messbare richtig einschätzen und bewerten zu können, ist die Rationalität im Sinne eines abstrakten Denkvermögens notwendig. Dieses abstrakte Denkvermögen bedarf einer entsprechenden (akademischen) Bildung. Bildung ist nach Precht immer auch Herzensbildung, die nicht nur auf Verstand und Vernunft basiert, sondern Fragen der Moral und Urteilsbildung miteinfließen lässt.[46]

Um mittels der Urteilskraft eine Entscheidung zu treffen, braucht es mehr als nur den messbaren Teil einer Problemstellung.

Hier geht es nicht nur um das Erkennen von vorliegenden Fakten, sondern um deren Interpretation und deren Zusammendenken zu möglichen Antworten auf die komplexen Herausforderungen unserer Zeit. Es geht „[…] von der lebendigen Anschauung zum abstrakten Denken und von diesem zur Praxis […].“[47] Nur auf das abstrakte Denkvermögen zurückzugreifen, ist genauso unvollständig für die Erarbeitung einer Problemlösung, wie sich nur der Empirie zuzuwenden. Erst das Aufbauen auf der Anschauung einer Situation ermöglicht dem abstrakten Denken eine Entscheidungsgrundlage zu liefern. Beides dient auf der Entscheidungsebene des Theresianischen Führungsmodells der Sphäre der Wissenschaft, während die Urteilskraft zur Entscheidungsfindung, als kreativer Schaffungsakt, der Sphäre der Kunst zuzuordnen ist. „[…] wo Schaffen und Hervorbringen der Zweck ist, da ist das Gebiet der Kunst; die Wissenschaft herrscht, wo Erforschen und Wissen das Ziel ist.“[48]

Das Theresianische Führungsmodell verbindet also zum einen Wissenschaft und Kunst, zum anderen die Komplexität des Problems mit der Reduktion in der Problemlösung und weiter auch Empirie mit Rationalität. Die Offenheit des Modells und dessen Anwendung geht Hand in Hand mit der akademischen Bildung der Führungskräfte, welche dieses zur Anwendung bringen sollen. Diese Bildungskomponente hat auch eine hohe Relevanz für den Umgang mit Technologien, die auch zur Unterstützung der Entscheidungsfindung herangezogen werden können oder diese gänzlich zu übernehmen im Stande sind.

Von der Komplexität des Theresianischen Führungsmodells

„Wir sagen also, der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens.“[49] Ersetzen wir den Begriff des Krieges durch den Führungsbegriff, so kann man hier in Analogie zum Krieg, die Führung als soziale Interaktion verstehen. Führung und damit auch die verschiedenen Führungsmodelle, so auch das Theresianische Führungsmodell, unterliegen, als soziale Interaktion zwischen Menschen und Gruppen von Menschen, einer hohen Komplexität. Führung ist hinsichtlich der ihr zu Grunde liegenden Zusammenhänge unklar und immer von äußeren Einflüssen, die nicht alle bekannt sind, abhängig.[50]

Trotz dieser Komplexität sind Wissenschaft und Kunst Teil einer erfolgreichen Führung, auch wenn sie nicht gleichbedeutend mit der Führung zu verstehen sind. Schon allein diese Tatsache, dass Führung zum einen Wissenschaft und Kunst in sich birgt, aber weder als Wissenschaft noch als Kunst allein zu verstehen ist, zeigt eine gewisse Komplexität. „Das Wesentliche des Unterschiedes besteht darin, daß der Krieg [Anm. d. Verf.: die Führung] keine Tätigkeit des Willens ist, die sich gegen einen toten Stoff äußert wie die mechanischen Künste, oder gegen einen lebendigen, aber doch leidenden, sich hingebenden Gegenstand, wie der menschliche Geist und das menschliche Gefühl bei den idealen Künsten, sondern gegen einen lebendigen, reagierenden.“[51] Darum wurde nach einem offenen und adaptiven Modell gesucht, welches in der Lage ist, unter Ausnutzung unterschiedlicher Perspektiven, diese Komplexität zu fassen und der kreativ denkenden Führungskraft ein Werkzeug beziehungsweise einen Werkzeugkasten an die Hand zu geben, der einer erfolgreichen Führung dienen soll.

Das Wesentliche des Unterschiedes besteht darin, daß der Krieg keine Tätigkeit des Willens ist, die sich gegen einen toten Stoff äußert wie die mechanischen Künste, oder gegen einen lebendigen, aber doch leidenden, sich hingebenden Gegenstand, wie der menschliche Geist und das menschliche Gefühl bei den idealen Künsten, sondern gegen einen lebendigen, reagierenden.

Mit dem vorliegenden mehrschichtigen Theresianischen Führungsmodell wird ein Denkanstoß in diese Richtung gegeben und eine kritische Reflexion angeregt. Führung ist kein konstanter Zustand, sondern eine Handlung oder ein Prozess, der ständig neu zu beurteilen bleibt und stets anzupassen ist.

 

 


Oberst des Generalstabsdienstes Prof. (FH) Ing. Mag. (FH) Georg Kunovjanek, MSD PhD; Forschungsinteresse: Führungskraft, Führungsverfahren und Führung im Cyberspace. Publikationen: Georg Kunovjanek, Georg Maier, Die Militärische Führung im Lichte von Niccolo Machiavelli, Österreichischen Militärische Zeitschrift, LXI. Jahrgang, Heft 05, (September/Oktober 2021): 555-563. Georg Kunovjanek, Cyber – Die Domäne der vernetzten Unsicherheit (Berlin: Miles-Verlag, 2021). Akademisches Betätigungsfeld: Studiengangsleiter des Fachhochschul-Bachelorstudienganges Militärische informations- und kommunikationstechnologische Führung. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die des Autors. Diese müssen nicht mit jenen des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung übereinstimmen.

Oberst Mag. (FH) Georg Maier; Forschungsinteresse: Führungskraft, Führungsverfahren und Führung im Militär, Militärpädagogik. Publikationen: Georg Kunovjanek, Georg Maier, Die Militärische Führung im Lichte von Niccolo Machiavelli, Österreichischen Militärische Zeitschrift, LXI. Jahrgang, Heft 05, (September/Oktober 2021): 555-563. Akademisches Betätigungsfeld: Hauptberuflich Lehrender des FH-BaStg Militärische Führung im Fachbereich Militärpädagogik. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die der Autoren. Diese müssen nicht mit jenen des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung übereinstimmen.


[1] Georg Kunovjanek, Georg Maier, “Das neue Theresianische Führungsmodell,” Armis et Litteris, Band 37, (Wiener Neustadt: 2022), 72-89.

[2] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege, ”, (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 135.

[3] Ansgar Rieks, “Geistiger Stillstand ist Rückschritt: Gedanken zu Bildung und Offizierberuf,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 4.

[4] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege,” (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 135-136.

[5] Ansgar Rieks, “Geistiger Stillstand ist Rückschritt: Gedanken zu Bildung und Offizierberuf,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 4.

[6] Richard David Precht, “Jäger, Hirten, Kritiker – Eine Utopie für die digitale Gesellschaft,“ (München: Goldmann Verlag, 2018), 164.

[7] Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (Hrsg.), “Antrag auf Akkreditierung des FH-Bachelorstudienganges Militärische Führung,” (Wiener Neustadt: 2011), 3.

[8] Georg Kunovjanek, Georg Maier, “Das neue Theresianische Führungsmodell,” Armis et Litteris, Band 37, (Wiener Neustadt: 2022), 72-89.

[9] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege,” (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 106.

[10] BMLV (Hrsg.), “Richtlinie für Forschung und Entwicklung an der Theresianischen Militärakademie,” Version 2, (Wiener Neustadt: Eigenverlag, 2020), 16-18.

[11] Ibid., 18.

[12] Alfred Faustenhammer, “Der Unterschied zwischen Spezialisten und Experten,” last accessed January 05, 2023, https://www.weka-akademie.at/wekablog/der-unterschied-zwischen-spezialisten-und-experten

[13] Duden (Hrsg.), Online-Wörterbuch, Cornelsen Verlag GmbH, last accessed November 4, 2022, https://www.duden.de/rechtschreibung/Erfolg#bedeutung.

[14] Niccolo Machiavelli, “Discorsi, Gedanken über Politik und Staatsführung,” (Stuttgart: 1977), 333.Georg

[15] Ibid., 332.

[16] Georg Kunovjanek, Georg Maier, “Das neue Theresianische Führungsmodell,” Armis et Litteris, Band 37, (Wiener Neustadt: 2022), 52.

[17] Konrad Paul Liessmann, “Die großen Philosophen und ihre Probleme,” (Wien: 2003), 127.

[18] Konrad Paul Liessmann, “In Wirklichkeit ist alles ganz einfach – Aufbau und Reduktion von Komplexität in sozialen Systemen,” Armis et Litteris Band 7,( Wiener Neustadt: 2001), 18.

[19] Hans Magnus Enzensberger, “Hammerstein oder Der Eigensinn,” (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019), 77-78.

[20] Idem.

[21] Reinhard Sprenger, “Radikal führen,” (Frankfurt am Main: 2015), 148.

[22] Ibid., 55.

[23] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege,” (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 135.

[24] Gregor Heise, “Komplexität meistern mit dem Cynefin-Framework,” last accessed December 21, 2017, https://www.heisetraining.at/komplexitaet-meistern-mit-cynefin-framework/.

[25] Uwe Hartmann, “Carl von Clausewitz: Erkenntnis, Bildung, Generalstabsausbildung,” (München: Olzog Verlag, 1998), 65.

[26] Konrad Paul Liessmann, “Die großen Philosophen und ihre Probleme,” (Wien: 2003), 80-81.

[27] Gregor Heise, “Komplexität meistern mit dem Cynefin-Framework,” last accessed December 21, 2017, https://www.heisetraining.at/komplexitaet-meistern-mit-cynefin-framework/.

[28] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege, ”, (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 136.

[29] Ansgar Rieks, “Geistiger Stillstand ist Rückschritt: Gedanken zu Bildung und Offizierberuf,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 4.

[30] Definition der Verfasser.

[31] Ansgar Rieks, “Geistiger Stillstand ist Rückschritt: Gedanken zu Bildung und Offizierberuf,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 4-5.

[32] Sönke Marahrens (Projektltg.), “Führen von morgen,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 11-12.

[33] Michael Hampe, Robert Schnepf, “Baruch de Spinoza, Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt,” (Berlin: 2006), 224.

[34] Idem.

[35] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege,” (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 135.

[36] D. A. Iwanow, W. P. Saweljew, P.W. Schemanski, “Grundlagen der Truppenführung,” (Berlin: Militärverlag der DDR, 1973), 146-147.

[37] Idem.

[38] Sönke Marahrens (Projektltg.), “Führen von morgen,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 12-13.

[39] Ibid., 11-12.

[40] Richard David Precht, “Jäger, Hirten, Kritiker – Eine Utopie für die digitale Gesellschaft,“ (München: Goldmann Verlag, 2018), 199.

[41] Sönke Marahrens (Projektltg.), “Führen von morgen,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 14.

[42] D. A. Iwanow, W. P. Saweljew, P.W. Schemanski, “Grundlagen der Truppenführung,” (Berlin: Militärverlag der DDR, 1973), 227.

[43] Richard David Precht, “Jäger, Hirten, Kritiker – Eine Utopie für die digitale Gesellschaft,“ (München: Goldmann Verlag, 2018), 160.

[44] Idem.

[45] Idem.

[46] Ibid., 171.

[47] D. A. Iwanow, W. P. Saweljew, P.W. Schemanski, “Grundlagen der Truppenführung,” (Berlin: Militärverlag der DDR, 1973), 227.

[48] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege,” (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 135.

[49] Ibid., 136.

[50] Sönke Marahrens (Projektltg.), “Führen von morgen,“ (Hamburg: German Institute for Defence and Strategic Studies, 2021), 13.

[51] Carl von Clausewitz, “Vom Kriege,” (Hamburg: Nikol Verlag, 2016), 136.

You may also like

Comments are closed.